Straßenverkehr in Lateinamerika und wir mitten drin

Unterwegs sein in Lateinamerika heißt, ‚den Verkehr schnell zu lernen‘, sich zu arrangieren, denn es gibt  Vieles, was den ‚regelgewöhnten‘ Mitteleuropäer aus der Fassung bringen könnte. Also schnell lernen und umsetzten ist angesagt – nach dem Motto ‚wie ein Fisch im Wasser‘ sein.

Grundregel:

Aus Beobachtungen leiten wir für den Verkehr folgende Grundregel ab: „Bei uns wird gefahren, was geht. Regeln und Verkehrszeichen gibt es. Das gibt Juristen und anderen Leuten Jobs, die sollen leben. Aber müssen wir uns dran halten? Es läuft doch so auch.“ … und erstaunlich gut.

Herleitung:

Ein paar Beispiele sollen verdeutlichen, wie wir auf die Grundregel kommen.

Doppelte, durchgehende Mittellinie nutzen die Einheimischen als Orientierungshilfe für die Mitte der Strasse. Wir konnten nicht beobachten, dass sie irgendetwas mit dem Überholen zu tun haben.

Rote Ampeln werden zwar als Stoppsignal erkannt, aber von den Verkehrsteilnehmern und auch von Polizeiautos als durchaus interpretierbar gehandhabt, z.B. wird eine zu lang empfundene Rotphase durch eigenständiges Losfahren trotz rot verkürzt.

In einer Einbahnstraße wird zwar hauptsächlich in eine Richtung gefahren, Gegenverkehr wird von der Polizei nur winkend zum Umdrehen aufgefordert.

Was die erlaubten Geschwindigkeiten betrifft, so ist nirgends herauszufinden, wie hoch die erlaubten Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen, Landstraßen oder gar in geschlossenen Ortschaften – gibt es sowas überhaupt? – sind. Durch Verkehrsschilder werden utopische Werte (z.B. 25 km/h oder 93 km/h) angezeigt, an die sich niemand hält.

Rechtsfahrgebot auf mehrspurigen Strassen. Auf der Autobahn wird so gut wie grundsätzlich links gefahren, was selbstverständlich zum rechts überholen zwingt.

Folgerung

Sich den einheimischen Vorbildern anpassen und nicht im Weg stehen. Jeder bekommt eine Chance, also nutze sie.

Hoffentlich bleibt uns das Verhalten nicht auf alle Zeiten – könnte zu Hause teuer werden.

Ein ganz besonderes Mittel den Verkehr zu beeinflussen.

Wenn also alle fahren was geht, müssen die Langsamsten und Schwächsten auf der Strasse, die Fußgänger, auch eine Chance bekommen heil über die Strasse zu kommen und am Leben zu bleiben.

Um das zu gewährleisten, hat der findige Mexikaner ein Instrument entwickelt, das wir gelegentlich als Folterwerkzeug empfanden. Das Instrument heißt „Topes„.

Soweit mir bekannt, haben wir im Deutschen kein Wort dafür.  In der Amtssprache gibt es dafür sicher ein mindestens fünfzehnsilbiges Wort – kenn ich aber nicht.

Bestenfalls kann das bayerische „“Hugl“ noch beschreiben, was gemeint ist. Die Engländer sagen dazu „dead policeman“, vielleicht weil das im Vereinigten Königreich die adäquate Entsorgung von überflüssigen Bobbies ist.

Die „Topes“ bestehen meist aus Beton, Moniereisen ist häufig gut zu erkennen, oder sind aus dem selben Material wie der Straßenbelag. Sie sind unterschiedlich hoch und auch die Form scheint keinen Regeln zu folgen. Sie werden in Ortschaften an ganz bestimmten Stellen, z.B. vor Kreuzungen, vor Fußgängerüberwegen, vor Bushaltestellen,  an den Ortsanfängen aber auch vollkommen überraschend irgendwo in der Pampa dafür eingesetzt, die motorisierten Verkehrsteilnehmer zu zwingen, den Fuß vom Gas zu nehmen und voll in die Bremsen zu latschen. Um sie rechtzeitig zu sehen, sind sie in schwarz-gelb bemalt und von Weitem sichtbar – soweit die Idee.

Erst nach vielen Kilometern, quasi als Ergebnis unseres Feldtests, hat sich für uns erschlossen, dass hinter der Sache eine ganze Wissenschaft steckt, von der die verschiedensten Industriezweige profitieren.

Was läge näher, als die Erkenntnisse hier vorzulegen und die verschiedenen „Topes“ mit ihrer Wirkung darzustellen.

Als erstes sind da die  „Einfachen Topes„. Sie sind in Form einem sanften Hügel nicht unähnlich, nicht zu hoch und von Weitem zu sehen, da schwarz-gelb gestreift. Bei sachgemäßer Annäherung sind keine Auswirkungen für Fahrzeug und Fahrer zu erwarten.

Die selbe Form wird häufig bei den  „Serien-Topes“ verwendet. Sie sind in so kurzen Abständen angebracht, dass auch trotz maximaler Beschleunigung zwischen zwei „Topes“ die Geschwindigkeit den gewünschten Wert von 50 nicht übersteigen kann.

Eine fiese Form haben die „Halbmond-Tope„. Sie liegen wie ein Halbkreis auf der Strasse. Ihre Anstiegsflanke hat den verherenden 90°-Winkel. Diese Form zwingt zu niedrigsten Geschwindigkeiten, da wenn man zu schnell ist, ein gewaltiger Schlag durch das ganz Fahrzeug geht – mechanische Beschädigungen und Bandscheibenvorfälle sind nicht auszuschließen.

Weiter haben wir den „Sprung-Tope“ gefunden. Die Form entspricht der eines Geo-Dreieckes mit je einer 45° Flanke – der wahre Sprunghügel und ein Erlebnis für Fahrer und Zuschauer, wenn die Kiste ans Fliegen kommt. Er verleiht Flügel, wofür dann überhaupt noch Red Bull?

Auch eine andere Form bringt die Fahrzeuge in Fluglage. Das sind die „Schanzen-Topes„. Sie steigen langsam an und fallen auf der absteigenden Seite abrupt ab. Jens Weißflog würde sie lieben.

Die gemeinste Form dieser Bauwerke stellen die „Überraschungs-Topes“ dar. Sie sind praktisch unsichtbar, weil sie sich im Schlagschatten eines riesigen Baumes befinden, sich farblich nicht vom Straßenbelag unterscheiden und auch nicht gekennzeichnet sind. Ihre Form ist unerheblich. Nur durch indirekte Hinweise, wie Bushäuschen, Einfahrt o.ä. kann man sie erahnen. Viel Erfahrung und große Aufmerksamkeit sind notwendig.

Eine weitere Variante stellt ein am Ende der Ortschaft auf die Strasse gelegter „Orts-Abschieds-Tope“ dar – häufig sehr überraschend. Eigentlich hätte es den nicht mehr gebraucht, aber der Bürgermeister will ja nicht unhöflich sein und sich ordentlich verabschieden.

Abschließend sei hier noch das desaströse „Crash-Tope“ erwähnt, das vollkommen unregelmäßig gebaut und in seiner Wirkung phänomenal ist, es lässt sich nur in Schrittgeschwindigkeit überwinden, sonst ist mit Totalverlust des Motorrades zu rechnen.

Eine versöhnliche Geste für Motorradfahren sind allerdings diejenigen, die in der Mitte mit einer ca. 15 cm breiten Lücke versehen oder die nicht bis an den Straßenrand gebaut sind. Für uns sind das dann „Gute Topes„, für uns die angenehmste Form dieser Bauwerke zur Verkehrsberuhigung – man muß nur gut zielen, um ohne Hopser durch zu kommen.

Ein Bauwerk, gemacht für Straßenbauer, Ausbesserer, Schilderproduzenten, denn oft gibt es auch noch die Warnschilder vor den Topes. Einen weiteren wirtschaftlichten Beitrag der Einrichtung kann man ganz in der Nähe dieser „Topes“ finden. Am Straßenrand stehen große Werbetafeln, die auf Spezialwerkstätten für Bremsen, Kupplungen, Dämpfer und Federungen hinweisen.

Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt!

Wie man sieht – sehr clevere Verkehrsbeeinflussung der Mexikaner – keine Polizei nötig und auch keine Radarfallen.

Die anderen Länder haben wohl andere Namen für die selben Einrichtungen, sie sind auch nicht so häufig eingestzt, haben aber die selbe Wirkung.

Den ersten Polizisten mit einer Radarpistole haben wir erst in Costa Rica gesehen.

Bis auf  ein ‚Bienvenidos en …‘ hat uns die Polizei noch nichts gesagt. Lauter nette Typen.

Wir fortgesetzt!

2 Antworten auf „Straßenverkehr in Lateinamerika und wir mitten drin“

  1. Halli hallo, Servus Paul, Mich und Simon,
    ich verfolge mit viel Spaß Eure Reise. Das ist wie eine kleine mentale Insel inmitten des Schneechaos, das Deutschland in seinen Fängen hält. Ich sitze mehr im Auto als im Büro. Da wäre so eine „kleine“ Grenzpassage ein Kinderspiel dagegen. Aber das wird auch vorbei gehen.
    Jetzt sind wir schon mitten drin in der Weihnachtszeit, das ging wieder schnell. Ich wünsche Euch weitere tolle Tage, eine erfolgreiche Weiterreise und, wenn es soweit ist, trotz der wenig weihnachtlichen Umgebung eine schöne Weihnacht und einen guten Übergang (ich sage extra nicht Rutsch) ins neue Jahr.
    Herzliche Grüße und Bon Voyage von Uli S.

  2. hey paul,
    wünsche dir ein frohes fest in fremder lande und einen guten rutsch ohne schnee.
    bin noch zwei wochen in der karibik mit meiner süßen und werde mich dann möglichst schnell nach mendozza durchschlagen.
    lass von dir hören
    horst

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